Donnerstag, 8. November 2012

Maracanã



Gestern war einer der wenigen Termine im Jahr, an dem kein Fußballspiel auf dem Programm stand.  Stattdessen rief die Sportsekretärin des Bundeslandes Rio de Janeiro Márcia Lins zu einer Pressekonferenz ins Maracanã. Es sollte eine Werbeaktion gemeinsam mit einem großen Sponsor vorgestellt werden. Aber was die Journalisten wirklich wissen wollten ist, wie und in welcher Form der Bau des Maracanã vorangeht.
Das Thema ist gerade in dieser Woche interessant, da heute (08.11.12) eine öffentliche Anhörung zu den Plänen der Umgestaltung der Umgebung des Stadions stattfinden wird. Da das Maracanã eine staatliche Einrichtung ist, ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass so eine Anhörung durchgeführt werden muss, bevor die Ausschreibung für die Bauarbeiten vom Bundesland gemacht werden kann. Das Gelände des Maracanã besteht nicht nur aus einem Fußballstadion, sondern auch aus einem Leichtathletikstadion, einem Schwimmbad, der Sporthalle Maracanazinho und der Arthur Friedenreich Grundschule.
Mehrere Interessensvertreter von Bürgerbewegungen haben sich besorgt gezeigt, dass es sein könnte, dass geplant ist, diese Einrichtungen abzureißen, um für die WM Parkplätze, VIP-Bereiche und Pressegebäude zu errichten. Damit würde den Bürgern der Stadt Rio de Janeiro nicht nur ein öffentliches Sportangebot und eine Schule, sondern auch ein denkmalgeschützter Architekturkomplex verloren gehen. Persönlich würde ich den Verlust der Friedenreich-Schule beklagen, da ich die Biografie des Namensgebers (http://www.werkstatt-verlag.de/?q=9783895336461) geschrieben habe und der Meinung bin, dass Brasilien diesen Spieler sowieso schon zu sehr vergessen hat.


Márcia Lins ging auf diese Details nicht ein und verkündete nur, dass die Anhörung stattfinden würde. Aber in ihrer Rede spielte eine Auseinandersetzung mit den Werten Tradition und Moderne eine wichtige Rolle. Zunächst machte sie darauf aufmerksam, dass es eine große Herausforderung sei ein Stadion mit all seiner Infrastruktur WM-tauglich zu machen. Es wäre eine große Leistung, dass das Maracanã neben dem Azteken-Stadion in Mexiko das einzige ist, das zwei WM-Finale ausrichten wird. Dafür wurde viel investiert und am 28.02.2013 soll termingerecht das modernste Stadion der Welt übergeben werden. Modern heißt für sie nicht nur, dass die Tribünen komplett neu errichtet wurden, sondern dass auch auf ökologisch korrekte Nachhaltigkeit geachtet wurde: es wurde mit wiederverwertbarem Material gearbeitet, der Stromverbrauch konnte gesenkt werden und es wird Regenwasser aufgefangen werden.
Wichtig war in den Augen der Sekretärin, dass das Verhalten der Fußballfans in den letzten Jahren geändert wurde. Diese würden jetzt Sitzplätze respektieren und die Sitzschalen nichtmehr zerstören. Das wäre der Erfolg von gezielten Maßnahmen der Landesregierung.
Aber trotz aller Modernisierung wäre es der Landesregierung und dem Bauunternehmen gelungen die traditionelle Architektur des Maracanã zu behalten. Es wäre weiterhin „Mein Maracanã, dein Maracanã, unser Maracanã“. Da es sich um ein öffentliches Bauwerk handeln würde, das noch dazu die zweitmeistbesuchte Sehenswürdigkeit Rio de Janeiros, nach der Christusstatue, ist, wäre es auch gerechtfertigt, dass der Bau aus öffentlichen Geldern finanziert wurde. Schließlich würde ja auch die französische Regierung den Eifelturm instand halten.
Damit trifft sie einen Nerv der Brasilianer, die Paris für die Wiege der westlichen Zivilisation und damit als Sinnbild für alles Moderne halten. Dieser Diskurs ist sicherlich wichtig für das brasilianische Publikum, aber in den letzten Monaten haben selbst in regierungsnahen Presseorganen Reflektionen eingesetzt, die die aufgezwungenen FIFA-Normen hinterfragen. Wollen wir wirklich alle beim Fußball sitzen? Ist das noch eine brasilianische Art Fußballfan zu sein? Oder ist es eine aufgezwungene europäische Art, von der wir uns eigentlich abgrenzen wollen? Verlieren wir hier nicht einen Teil unserer Kultur?
Zentral erscheint mir dabei, dass das Maracanã tatsächlich für das breite Volk gebaut wurde. Das ist der Grund, dass damals 200.000 Menschen in ihm Platz fanden, denn jeder Brasilianer sollte Zugang haben.  Die Tribünen wurden damals rund angeordnet, damit jeder Platz im gleichen Winkel zum Rasen stand. Nach dem Umbau wird ein neuer ovaler Grundriss für eine Hierarchisierung sorgen. Deshalb wurden auf seinem Grundstück auch eine Schule und andere Sporteinrichtungen gebaut. Es sollte eine Grundversorgung an Bildungs- und Sportangeboten gesichert werden. Als ich zum ersten Mal im Jahr 2000 im Maracanã war, kostete der Stehplatz etwa €1. Das war für jedermann erschwinglich. Aber das wird sich ändern, denn die Preise für Fußballspiele sind schon jetzt auf mindestens €15 geschossen.



Das was Márcia Lins „Änderung des Fanverhaltens“ bezeichnet, ist in Wirklichkeit ein Ausschluss derjenigen, die singen, tanzen und ihr Team anfeuern wollen. Ein Effekt der Stadionmodernisierung ist, dass das Publikum ausgetauscht wird und zwar nach finanziellen Gesichtspunkten. Und damit ist es eben nichtmehr unser aller Maracanã. Ich selbst spüre das auch, denn es passiert immer öfter, das ich von Sicherheitskräften angesprochen werde, warum ich denn im Stadion fotografieren würde (Als ob niemand beim Fußball fotografieren würde!).
Heute habe ich zum Beispiel für diesen Post Fotos gemacht und wollte dabei auch die kleineren Stadien und die Schule fotografieren. Als ich mich auf dem Parkplatz der Schwimmhalle befand kam wieder so ein Sicherheitsbeamter und verbat mir Fotos zu machen. Ich hielt ihm entgegen, dass es sich um einen öffentlichen Ort handeln würde. Er erwiderte, dass es trotzdem verboten sei Fotos zu machen. „Verstanden?“ „Nein!“ Aber es half nichts, er begleitete mich zum Ausgang. Der Maracanã-Komplex ist wohl kein Ort für jedermann mehr. Hier die Fotos, die ich vor der Ankunft des Wachmannes schießen konnte:




Sicherlich waren einige bauliche Maßnahmen nötig, denn Teile der Brüstung des Oberrangs sind schon einmal heruntergefallen. Ein anderes Problem war, dass die Evakuierung über 30 Minuten dauerte, während nach modernen Sicherheitsstandarts höchstens 10 Minuten erlaubt sind. Deshalb wurden mehrere zusätzliche Rampen gebaut. Insgesamt machen die Bauarbeiten einen positiven Eindruck. Das architektonische Projekt sieht sehr schön aus. Man darf erwarten, dass die neue Überdachung spektakulär wird. Das Stadion wird auch sicherlich rechtzeitig fertig. Aber der 28.02.13 scheint mir zu optimistisch. Es könnte sein, dass bis zu diesem Zeitpunkt das Stadion an sich fertig ist, aber auf keinen Fall die Umgebung, Zufahrtswege, Beleuchtung, Innenausstattung, Rasen etc.
Deswegen wollte sich auch weder Márcia Lins noch der Chef des zuständigen Bauunternehmens Ícaro Moreno auf ein Datum für die ersten Testspiele festlegen. Es könnte sich um ein normales Ligaspiel handeln oder aber auch ein Länderspiel. Wahrscheinlich wird aber der Confed-Cup 2013 selber der erste ernstzunehmende Test. 


1 Kommentar:

Markus hat gesagt…

Nicht ohne Grund wird in Deutschland so vehement um den Erhalt der Stehplätze gekämpft, und das nicht nur von "Ultras". Wer vor einigen Wochen das Spiel Manchester City - Dortmund am Fernseher verfolgte, hörte über das gesamte Spiel hinweg fast ausschließlich die Anhänger der Borussia. Ein Zustand, der vor Abschaffung der Stehplätze in englischen Stadien undenkbar gewesen wäre.